Dr. Dieter Kraus

Fallbesprechung Grundrechte SS 1997


Fall 3 (Auschwitzlüge):

Auf einer öffentlichen Kundgebung in der deutschen Stadt S bestreitet der kanadische Historiker H in seinem als wissenschaftlich angekündigten Vortrag, daß es im Dritten Reich Judenverfolgungen gegeben habe, die einem Völkermord gleichgekommen wären. Die in den Konzentrationslagern gefundenen Toten seien größtenteils Opfer alliierter Bombenangriffe gewesen. Wie in seinen zahlreichen Buchveröffentlichungen zu diesem Thema läßt er bei der Begründung seiner Thesen das zahlreich vorhandene Quellenmaterial fast gänzlich beiseite. Ebensowenig setzt er sich mit abweichenden Auffassungen auseinander. Statt dessen versucht er den Zuhörern sein Anliegen zu vermitteln, es möge „Deutschland endlich aufhören, Vorgänge der Zeitgeschichte als politische Erpressungsinstrumente zu dulden".
Daraufhin wird gegen H ein Strafverfahren eingeleitet. Das AG verurteilt ihn wegen Verharmlosens des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Völkermords (§ 130 III StGB) sowie wegen Kollektivbeleidigung der heute in Deutschland lebenden Juden (§ 185 StGB) zu einer empfindlichen Geldstrafe; die Voraussetzungen des § 193 StGB erachtet es als nicht gegeben. Das Rechtsmittel der Berufung bleibt erfolglos; die fünf Wochen später eingelegte Revision wird vom OLG wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen. H sieht in der Verurteilung einen eklatanten Verstoß gegen seine Grundrechte aus Artt. 5 und 8 GG. Es könne nicht angehen, daß die Strafverfolgungsbehörden ihm als politisch mißliebiger Person mit dem Knüppel des Strafrechts ein Denkverbot aufzwingen dürfen.
Ist H in Grundrechten verletzt?
Könnte H zulässigerweise Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erheben?

Aus dem Strafgesetzbuch:

 § 130 Volksverhetzung
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 StGB [Völkermord] bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
(5) In den Fällen [...] des Absatzes 3 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.

§ 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
(3) Absatz 1 [Verbreiten von Propagandamitteln] gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.

§ 185 Beleidigung
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft [...].

§ 189 Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener
Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Zur Vertiefung & zum Selbststudium:

BVerfGE 90, 1 - „Wahrheit für Deutschland" [= NJW 1994, S. 1781];
BVerfGE 90, 241 - Leugnung der Judenverfolgung [= NJW 1994, S. 1779];
St. Huster, Das Verbot der ‘Auschwitzlüge’, die Meinungsfreiheit und das Bundesverfassungsgericht, NJW 1996, S. 487 ff.

erstellt 11.05.1997/Kr.